Nachdem Boris Kaminski seinen Missbrauch öffentlich machte Sein Heimatverein GV Waltrop setzt ein Zeichen

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Thomas Lammers, einer der Ansprechpartner für „Prävention sexualisierter Gewalt im Sport“ aus Münster
Thomas Lammers, einer der Ansprechpartner für "Prävention sexualisierter Gewalt im Sport" aus Münster war auf Einladung der AG Kinderschutz - rechts Stefanie Abraham - zu Gast in Waltrop. © Christine Horn
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Boris Kaminski war Trainer der GV-Basketballer in der Regionalliga, bestens vernetzt und bekannt in Waltrop. Vor einem Jahr erzählte er dieser Redaktion seine Leidensgeschichte, dass er als Heranwachsender von seinem Tennislehrer schwer sexuell missbraucht wurde.

Seine Weggefährten, Freunde und Sportkollegen waren fassungslos und tieftraurig. Zunächst verfielen viele in Schockstarre. Aus dieser erwacht, entstand der dringende Wunsch des GV Waltrop: So etwas darf in unserem Verein keinem Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen passieren.

Anna Billmann ist die Initiatorin der „Arbeitsgruppe Kinderschutz“, die sich im Juni 2022 gegründet hatte. „In unseren Trainingsgruppen sind so viele Kinder und Jugendliche, für die wir Verantwortung tragen und Vorbild sind. Wir müssen sicherstellen, dass unser Sportverein ein Schutzraum ist und brauchen ein sinnvolles Konzept.“

Dieses Schutzkonzept wurde erarbeitet. Aber: Bei vielen Treffen der Arbeitsgruppe wurde deutlich: Wir wollen mehr. Engagiert sind hier neben Anna Billmann zudem Christoph Beermann, Kirsten Bode, Jacqueline Pitsch, Simone Nemarnik sowie Stefanie Abraham. Corinna Strzelecki ist Ansprechpartnerin von Vorstandsseite. Somit sind alle Abteilungen des Gymnastikvereins Waltrop vertreten.

Erster Verein im Kreis Recklinghausen

Ziel ist es, vom Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport aufgenommen zu werden, erläutert Stefanie Abraham. Der GV Waltrop wäre der erste Verein im Kreis Recklinghausen, der diesem Bündnis beiträte, das auf einer Initiative des Landessportbundes und des Sportministeriums NRW basiert. Zehn Kriterien müssen erfüllt werden.

Jüngst wurde ein Fragebogen erstellt, in dem die Kinder und Jugendlichen anonym angeben durften, in welchen Situationen beim Sport sie sich wohl oder unwohl fühlen. Rund 60 Kinder und Jugendliche beteiligten sich. Allerdings gab es auch Kritik. „Warum macht Ihr die Kinder scheu?“, so der Einwand eines Vaters.

Mit 55 Prozent bildeten Sportlerlinnen und Sportler zwischen sechs und zwölf Jahren die größte Gruppe, die an der Umfrage teilnahmen. Besonders im Fokus: Waltrops größte Sporthalle, das Sportzentrum Nord. Unwohl fühlen sie sich demnach im Kabinen- und Toilettenbereich. Sie wünschten sich Besetzt-Schilder an Kabinen und Toiletten. Sowie einseitig, dauerhaft abgeschlossene Kabinentüren zum hinteren Gang. Die Reparatur von Toilettentüren, mehr Licht – und: sichtbare Regeln für die Kabinen und Duschen. Dass sie nicht einzeln genutzt werden und die Handys in der Tasche bleiben.

Die Mitglieder der AG Kinderschutz des GV Waltrop
Die Mitglieder der AG Kinderschutz des GV Waltrop: (v.l.) Kirsten Bode, Christoph Beermann (Basketball), Jacqueline Pitsch (Karate), Simone Nemarnik (Gymnastik), Stefanie Abraham (Volleyball) und Initiatorin Anna-Lena Billmann (Basketball). © Verein

Diese Ergebnisse wurden nun bei einem Treffen mit dem Waltroper Sportamt vorgestellt. Dagmar Windisch und Vanessa Breuer nahmen die Anregungen auf, ebenso die für die anderen Sporthallen. Hier äußerten die Kinder und Jugendlichen zum Beispiel den Wunsch, dass der Zugang zu den Hallen nicht durch die Kabinen erfolgt.

Vor allem am Sportzentrum Nord gab es zuletzt Vandalismus. „Wir gehen davon aus, dass es Fremde waren, die freien Zutritt hatten“, vermutet Christoph Beermann, Abteilungsleiter der GV-Basketballer. Es wurde über die Möglichkeit der Installierung von Kameras im Sportler-Eingang und in den Gängen diskutiert. Ebenso über ein digitales Schließsystem von Sporthallen, das vom Land mit 30 Millionen Euro gefördert wird. All‘ diese Aspekte nahm Dagmar Windisch auf und wird nun prüfen, welche Vorschläge umsetzbar sind.

Fachmann Thomas Lammers zu Gast

Zu dem jüngsten Treffen im Sportbüro hatten die Initiatoren Thomas Lammers, einer von zwei Ansprechpartnern für „Prävention sexualisierter Gewalt im Sport“ beim Stadtsportbund Münster, eingeladen. Der Fachmann beriet die Arbeitsgruppe bei speziellen Formulierungen des Schutzkonzeptes und der Risikoanalyse – alles Bestandteile der zehn Kriterien, die erfüllt sein müssen, um in das Bündnis aufgenommen zu werden.

Gab wichtige Tipps bei den Formulierungen des Schutzkonzeptes und der Risikoanalyse: Thomas Lammers.
Gab wichtige Tipps bei den Formulierungen des Schutzkonzeptes und der Risikoanalyse: Thomas Lammers. © Christine Horn

Thomas Lammers erzählt von Vereinen, die ihm einst klar sagten: „Geh mir weg mit diesem Thema, sonst laufen uns die Sponsoren weg.“ Das komme mittlerweile nicht mehr so häufig vor. „Wir wollen ja keine Angst verbreiten und schwarzmalen, was alles passieren könnte. Wir wollen selbstsichere, eigenständige Menschen begleiten“, so Lammers.

Die AG Kinderschutz arbeitet derzeit auf Hochtouren. Bei der GV-Jahreshauptversammlung im Juni wird dann über eine Satzungsänderung abgestimmt. Zudem soll es zu einer Ehrenkodex-Unterzeichnung der Trainer kommen. „Wir wollen dann auch Plakate mit Bildern der sechs Ansprechpartner, die eine Weiterbildung zu dem Thema absolviert haben, in den Sporthallen aufhängen. Darauf wird dann auch eine Notfall-Nummer vermerkt sein, unter der sich Opfer melden können“, erläutert Stefanie Abraham.

„Alle Kinder können uns ansprechen“

Nach der JHV – so die Hoffnung der AG – sollen alle Kriterien für den Beitritt zum Qualitätsbündnis erfüllt sein. Und ein Punkt ist ihnen besonders wichtig: „Natürlich können sich alle Kinder, Jugendliche und Heranwachsende an uns wenden. Auch wenn sie in einem anderen Sportverein Mitglied sind oder Schüler“, sagt Stefanie Abraham. Und wenn andere Vereine dem Beispiel der AG Kinderschutz beim GV folgen wollen, stehe man für einen Austausch gerne bereit: info@gvwaltrop.de.