
Es ist wohl an der Zeit, den eigenen Standpunkt zu revidieren: Der Redakteur dieser Zeitung war, wie manch anderer, der sich damit befasst hat, der Meinung: Waltrop tut schon viel, um das Gedenken an seine jüdischen Mitbürger wach zu halten. Der Antrag von Dr. Heinz Josef Mußhoff (FDP), noch in der alten Rats-Periode einen Ort des Gedenkens an die Waltroper Juden einzurichten, schien das schon Vorhandene zu ignorieren. Einer Sitzungsvorlage der Stadt, die als Antwort auflistete, welche Formen des Gedenkens es schon gibt, fehlte es freilich etwas an Sorgfalt. Dorothee Schomberg (WA), deren verstorbener Mann Karl-Heinz sich um die Erforschung des jüdischen Lebens in Waltrop sehr verdient gemacht hatte, machte damals deutlich: Die Gedenkstätte Frauenlager Holthausen, die in der Vorlage den Erinnerungs-Orten an die Juden zugerechnet wurde, die es bereits heute gibt, „hat mit Juden-Gedenken nichts zu tun“.
Die Politik beschloss schließlich, einen Arbeitskreis einzusetzen, der sich mit dem Thema befasste. Und die Resultate zeigen eindrucksvoll: Es gibt noch viele Möglichkeiten, das Gedenken an die Juden so zu gestalten, dass man nach ihren Spuren nicht mühevoll aktiv suchen muss, sondern ihnen sozusagen automatisch begegnet. VHS, Heimatverein, Kulturbüro, Seniorenbeirat, Stadtarchiv, Stadtführer sowie weitere interessierte Waltroper Bürger nahmen an den Treffen teil. Auch die Schulen, die einen eigenen Plan vorlegten, wie sie sich in die Gedenk-Kultur nachhaltig einbringen wollen. Kontakte mit jüdischen Einrichtungen im Kreis wurden aufgebaut und schließlich folgende Vorschläge erarbeitet:
Drei Vorschläge für Gedenk-Orte
1. Der „Alte jüdische Friedhof“ an der Hilberstraße, der sich aktuell „in einem bedauernswerten Zustand befindet“, wie VHS-Leiter Clemens Schmale namens des Arbeitskreises im zuständigen Rats-Fachausschuss sagte, soll, in Absprache mit dem zustӓndigen Landesverband der jüdischen Gemeinden in Westfalen-Lippe zu einer zentralen Gedenkstӓtte für das jüdische Leben in Waltrop aufgewertet werden. Hinweisschilder sollen ihn dann für eine breite Öffentlichkeit „bemerkbar“ werden lassen. „Diese Aufwertung umfasst die Reinigung und Aufbereitung, möglicherweise auch die Umsetzung des 1982 aufgestellten Gedenksteines sowie die Aufstellung einer steinernen Stele, auf der alle Namen der auf dem alten Friedhof begrabenen Jüdinnen und Juden zu lesen sein werden. Vorbild ist eine Stele in Dorsten. Zu ihr könnte vom Eingangstor ein Kiesweg mit weißen Steinen führen. Kiesweg und Stele sollen nach dem Vorschlag so angebracht sein, dass sie die unsichtbaren Grӓber nicht berühren, die gleichwohl allesamt anhand von Archivmaterial noch genau lokalisiert werden können. Zudem soll die Stele zentral platziert und vom Eingangstor aus auch gut sichtbar sein. Außerdem ist geplant, im vorderen Bereich des alten Friedhofes, also in unmittelbarer Nӓhe zum Eingangstor, eine Informationstafel zu errichten, auf der u.a. das einzige erhaltene Foto mit Grabmälern des jüdischen Friedhofs abgebildet werden soll. Auch auf diesem Foto führt ein weißer Kiesweg zu Grab und Grabmal. Zudem könnte die Gedenktafel in einem weiteren Schritt Informationen über das jüdische Leben in Waltrop via QR-Codes zugӓnglich machen. Die aktuell „desolate“ Einfriedung des alten jüdischen Friedhofes bedarf nach Auffassung des Arbeitskreises ebenfalls einer Erneuerung.
15 „Stolpersteine“ sollen verlegt werden
2. Verlegung von Stolpersteinen: Die Idee ist keineswegs neu – in vielen Städten hat der „Erfinder“ der Stolpersteine, der Künstler Günther Demnig, diese schon verlegt. „Als dezentrale Ergӓnzung zur Aufwertung des alten jüdischen Friedhofes“ empfiehlt der Arbeitskreis auch für Waltrop, insgesamt 15 Stolpersteine zu verlegen, die an die Mitglieder der vier in Waltrop in den 1930er-Jahren noch lebenden jüdischen Familien erinnern, die zu Opfern der nationalsozialistischen Diskriminierung, Stigmatisierung, Entrechtung, Verfolgung, Vertreibung und schließlich Vernichtung geworden sind. Dies sind die Familien Baum, Rosenthal, Rosenblum und Spanier. Der Arbeitskreis sagt: Die Steine „finden ihren angemessenen Ort vor den ehemaligen Wohnstӓtten der stigmatisierten und vertriebenen Familien, also im Stadtkern von Waltrop. Grundsätzlich spreche laut Stadt nichts gegen eine Verlegung dort, allerdings müsse mit den heutigen Eigentümern gesprochen werden. Hier werde Gedenken buchstӓblich „in Gang gesetzt“, und es sei nach Auffassung der Schulen eine gute Möglichkeit, durch die Erinnerung an konkrete individuelle Schicksale verfolgter Jüdinnen und Juden vor Ort bei ihren Schülerinnen und Schülern einen ersten Zugang und darüber hinaus ein anhaltendes Interesse für jüdisches Leben in Deutschland zu eröffnen.
3. Jüdisches Gräberfeld und andere Gedächtnisorte auf dem städtischen Friedhof: Der Arbeitskreis schlӓgt vor, die Lage des jüdischen Grӓberfeldes auf dem städtischen Friedhof deutlicher mit Hilfe eines Hinweises bzw. Wegweisers zu kennzeichnen und es als einen von drei Gedӓchtnisorten zu deklarieren. Unweit des jüdischen Grӓberfeldes befinden sich nӓmlich noch zwei weitere Gedӓchtnisorte, einerseits eine mit kyrillischem Text versehene Stele, die an in faschistischer Gefangenschaft verstorbene sowjetische Bürger erinnert, sowie eine Gedenkplatte für die Frauen, die ins Lager Holthausen eingewiesen wurden, und die Kinder, die dort geboren wurden und vielfach starben. „Stele, Gedenkplatte und jüdisches Grӓberfeld ergeben einen Dreiklang des Gedenkens, das eine Besonderheit des Waltroper Kommunalfriedhofes darstellt, auf das an geeigneter Stelle, eventuell mit Hilfe eines kleinen Planes, hingewiesen werden sollte“, heißt es.
Für welche Maßnahmen Geld gebraucht wird
Auch wenn die Pläne zur Erweiterung der Gedenk-Kultur politisch einhellig begrüßt werden dürften, geht es natürlich dennoch auch um eine Investition. Auch dazu hat sich der Arbeitskreis Gedanken gemacht: Der Rat der Stadt Waltrop habe durch die einstimmige Zustimmung zur Beauftragung des Arbeitskreises „natürlich auch die Verantwortung für die Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen durch die Stadt Waltrop übernommen“, heißt es. Aber man wolle skizzieren, wofür Geld gebraucht werde, nämlich für die Planung und Ausführung eines neuen Eingangstores am alten jüdischen Friedhof, die Erneuerung des maroden Jägerzaunes rund um das Areal, das Anlegen der geplanten Kieswege, Reinigung und möglicherweise Umsetzung des Gedenksteins von 1982. Weiter wird Geld gebraucht für Herstellung, Gravur und Aufstellung der Stele, des „Ewigen Steins“, mit Inschriften und die Reproduktion des Fotos vom alten jüdischen Friedhof und zusätzliche Informationen und eine wettergeschützte Verkleidung sowie ebenfalls wettergeschützte Hinweistafeln auf dem kommunalen Friedhof. Schließlich geht es um die „Stolpersteine“ und gegebenenfalls um Reisekosten für Nachfahren der jüdischen Familien bei einer offiziellen Einweihung im Jahre 2022/23. Ein Großteil der Kosten – eine Summe kann man noch nicht abschätzen – fällt wohl erst 2022 an. Spenden, „Crowdfunding“ und ehrenamtlicher Einsatz könnten die Kosten verringern.